Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen. AEMR/Art.1, 1948

Am 8. Februar 2001 beschloss der Grazer Gemeinderat einstimmig, dass Graz zur ersten Menschenrechtsstadt Europas werden soll und künftig bei allen Beschlüssen das Thema Menschenrechte berücksichtigt werden muss.

Heute, 15 Jahre danach, geht es bei der Frage, wie es um das humanitäre Profil der Stadt bestellt ist, nicht nur darum, ob diese Richtlinie auf kommunaler Ebene umgesetzt wurde und wird – das Spektrum reicht hierbei von positiven Aspekten wie der Einsetzung des Grazer Menschenrechtsbeirats (2007) bis zum Tiefpunkt eines generellen Bettelverbotes im Land Steiermark und in der Stadt Graz (2011) – sondern, mehr denn je, darum, dass Menschenrechte auch auf individueller Ebene „nicht abstrakt bleiben, sondern im Alltagsverhalten konkret gemacht werden.” In diesem Punkt ortet Wolfgang Benedek (Leiter des Instituts für Völkerrecht der Universität Graz, Mitbegründer des ETC Graz, Herausgeber eines Handbuchs zur Menschenrechtsbildung) die größte Herausforderung.

In einer Gegenwart, die von einer globalen Migrationsbewegung noch unabsehbaren Ausmaßes geprägt ist, in der Ängste von rechts außen geschürt werden und sich dieser Konflikt auf einer sprachlichen Ebene, einmal mehr, in gezielt eingesetzten Schlagworten manifestiert („Asylant“ versus „Heimat“), nimmt mur.at die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 wörtlich: Als Leitlinie für ein menschenwürdiges Miteinander in Politik und Alltag wird der Text der Resolution zum Ausgangspunkt künstlerischer Stellungnahmen im öffentlichen Raum.

Zeitgenössische Kunst hat grundsätzlich das Potential, komplexe Fragestellungen aus neuen, ungewohnten, überraschenden, manchmal zuerst irritierenden Perspektiven zu beleuchten und so neue Denkrichtungen sichtbar machen. Umso mehr gilt dies für eine Kunst, die mitten im Alltag der Menschen für unvermittelte Begegnungen sorgt und den öffentlichen Raum wieder als Ort beansprucht, der allen gleichberechtigt zur Verfügung steht und der gesellschaftspolitischen und kulturellen Debatte Raum gibt.

Ziel des Projekts MENSCHENRECHTE wörtlich nehmen ist es, mit den Mitteln aktueller Kunst Erfahrungs- und Begegnungsräume zu schaffen, die einen Perspektivenwechsel und einen inhaltlichen Austausch zwischen gesellschaftspolitisch engagierten Künstler_innen und Jurist_innen (Lehrende und Studierende) und der Öffentlichkeit ermöglichen. In diesem Prozess einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Thematik sollen zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler, ausgehend vom Text der Menschenrechtserklärung, „Einschaltungen im öffentlichen Interesse“ entwickeln. Im Projektzeitraum (Herbst 2016) sollen diese auf den Infoscreens der Grazer öffentlichen Verkehrsmittel und am Jakominiplatz zwischen Schlagzeilen, Werbeeinschaltungen und Unterhaltungssequenzen auftauchen – und so nicht nur gegen die standardisierte, manipulative Bild- und Textflut von Politik und Werbung, sondern auch gegen die abgestumpfte Alltagswahrnehmung und stereotype Denkmuster antreten.

Projektbegleitend sollen auf der Website von mur.at Auszüge aus dem Originaltext der Resolution in mehreren, auch im Schriftbild „fremden“ Sprachen, in Verbindungen mit erweiternden Informationen zu den künstlerischen Positionen veröffentlicht werden. Ebenso werden zwei Ausgaben des niederschwelligen Diskussionsformats mur.at-(Streit)gespräche in den Programmschwerpunkt integriert.

Die „Menschenrechtsstadt Graz“ fungiert als exemplarische reale Schnittstelle und als Status-Quo-Indikator, als konkreter Ausgangspunkt für allgemeingültige theoretische und praktische Fragestellungen der Menschenrechts-Realität(en), als exemplarischer Denkraum für die Reflexion des Ist-Standes und für mögliches alternatives Handeln, auch in europäischen und globalen Zusammenhängen.

Die Projektkooperationen vollziehen sich dementsprechend vorwiegend auf lokaler Ebene, ergänzt um internationale Positionen.

Der bewusste Blick auf die Menschenrechte hebt die Lebensqualität in der Stadt. Bgm. Siegfried Nagl

Februar 2016